Flugpioniere in Süchteln

Nur 5 Jahre nach dem ersten gesteuerten Motorflug der Gebrüder Wright kam Wilbur 1908 nach Europa um das „Flyer“ genannte Fluggerät einem staunenden Publikum vorzuführen. Der aus Oedt stammende Franz Kellermann hatte davon gehört und in seiner Begeisterung für die noch junge Fliegerei, begab er sich sogleich auf die Süchtelner Höhen, wo er in einem kleinen Schuppen auf dem Rennplatz zwei Flugzeuge baute. Die Startversuche der selbstgebastelten Kellermann’schen Maschinen aber misslangen, weil die Motoren viel zu schwach waren. Noch im selben Jahr aber hatte ein wohlhabender Gladbacher Industrieller eine direkt aus Amerika importierte Flugmaschine der Gebrüder Wright auf die Süchtelner Höhen bringen lassen und gewann den bereits „erfahrenen“ Kellermann sozusagen als Bordmonteur. Mit diesem professionellen „Aeroplan“, wie man das Flugzeug damals nannte, gelangen die Starts und einmal durfte Kellermann sogar selbst die Maschine steuern und einige Runden über die Süchtelner Höhen drehen. Dieses Ereignis war natürlich für die ortsansässige Bevölkerung eine Sensation. Zu den ersten Flugversuchen waren unzählige Neugierige aus der näheren und weiteren Umgebung erschienen.

Ein solcher Flyer der Gebrüder Wright startete bereits 1908 auf den Süchtelner Höhen

 Eine Firma Steinmann aus Westfalen hatte auch solche Flugmaschinen gebaut und testete sie 2 Jahre später am 20. September 1910 ebenfalls auf dem Rennplatz in Süchteln. Der Propeller dieser Flugmaschine bestand aus Nussbaumholz und ihr Gerüst aus Stahlrohren. Sie wog 250 Kilogramm. Am Tag zuvor war allerdings in einer Süchtelner Schmiede schon beim Reinigen des Flugmotors eine Explosion erfolgt. Es gab fünf Verletzte. Aber trotz aller Schwierigkeiten fand man sich am darauffolgenden Tag auf dem Rennplatz ein und nachdem alle umständlichen Vorbereitungen abgeschlossen waren, setzten sich die Propeller tatsächlich in Bewegung und das Aeroplan rollte zum vorgesehenen Startplatz. Die Maschine kam aber nicht sehr weit, denn in dem Augenblick gab es einen Defekt an einem der beiden Vorderräder und der Benzinbehälter explodierte erneut. Der Aviatiker kam zum Glück mit dem Leben davon. Das Flugzeug mußte jedoch demontiert und auf Grund der bei diesem ersten Versuch gemachten Erfahrungen erheblich umgebaut werden.

Aber schon ein Jahr später, am 27. August 1911, konnten die westfälischen Flieger die Scharte auswetzen. Auf dem Süchtelner Rennplatz fand ein regelrechtes Schaufliegen statt. Wiederum erschienen zahlreiche Neugierige, weil, wie es in der Ankündigung hieß, der Aviatiker die Absicht hatte, mit dem verbesserten Aeroplan über die Höhen hinweg zu fliegen. Zunächst wurden die schon früh am Tage eingetroffenen Schaulustigen auf eine harte Probe gestellt, denn das in einem Bretterschuppen aufgestellte Aeroplan wollte nicht zum Vorschein kommen. Der nahende Abend warf schon seine Schatten voraus, als die Flugmaschine endlich aus ihrem Verschlag geholt wurde. Sofort sauste sie mit surrenden Propellern über den Rennplatz und erhob sich nach einigen Sekunden unter dem Jubel der vielen Zuschauer bis zu 50 Meter hoch und flog dann tatsächlich über die Süchtelner Höhen hinweg. Mit der Geschwindigkeit eines Vogels bog der Flieger über dem Anstaltsgelände wieder auf den Rennplatz zu und landete nach einer schönen Schleifenfahrt über den Wald wieder an der Startstelle. Ein Augenzeuge dieses Fluges schrieb über den waghalsigen Flieger und den wohlgelungenen Flug folgendes: „Wir sind überzeugt, daß jeder, der die Maschine im Flug sieht, sich für die fliegende Zeitepoche begeistert und dem fliegenden Menschen seine aufrichtige Bewunderung nicht versagt.“

Im darauffolgenden Jahr gab es zwei weitere Versuche. Der im Frühjahr gestartete misslang, aber der andere, Ende 1912, ließ einen Flug über die ganzen Höhen und noch weit über deren Umgebung zu. Vom Ende der 1920er Jahre an gab es regelmäßige Flugtage in Süchteln, allerdings für das Publikum nicht mehr ganz so aufregend. Eine letzte fliegerische Einlage erlebte der Rennplatz als gegen Ende des zweiten Weltkrieges dort ein provisorischer Behelfsflugplatz der Wehrmacht eingerichtet wurde. Für kurze Zeit waren hier drei ME 109 stationiert, die aber schon wenige Tage später wieder verlegt wurden.

Einmotoriges Flugzeug beim Flugtag 1931 über dem Süchtelner Rennplatz

Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, daß es in Süchteln einen weiteren „Flugplatz“ gab. Um das Jahr 1928 trafen sich begeisterte Flieger bei guter Witterung regelmäßig am Windberg im Hagenbroich, um sich mit ihrem selbstgebauten Segelflugzeug in die Lüfte zu erheben. Nachdem der Pilot seinen Platz in dem Fluggerät eingenommen hatte, wurden zwei Gummibänder von jeweils 5 oder 6 Mann von Hand gespannt. Bei ausreichender Spannung wurde das Flugzeug, daß von 2 bis 3 Mann am Heck gehalten wurde, freigegeben, um sich dann sanft zu erheben. Die Bänder wurden ausgeklingt und das Flugzeug segelte einige hundert Meter den Windberg hinab.

Segelflieger am Windberg in einem Film des Kreises Kempen von 1928

Süchtelner Segelflieger am Windberg

Ein Eintrag in den Tagebüchern der Franziskanerinnen vom Stiftshaus St. Irmgardis in Süchteln aus dem Jahr 1929 vermittelt einen Eindruck davon, welche großartige Bedeutung die junge Fliegerei damals für die bodenständigen Menschen hier hatte:

„Die glückliche Heimkehr des Luftschiffes ‘Graf Zeppelin’, das unter Führung von Dr. Eckener seine erste Reise um die Welt gemacht hatte, wurde durch eine Schulfeier mit anschließendem Ferientag festlich begangen. Anhand der Karte brachte Schwester Alphonsia den Schülerinnen die Größe des Unternehmens zum Bewußtsein, und dann klang die freudige Begeisterung der Jugend aus in dem Lied: ‘Deutschland, Deutschland über alles!’ Das Luftschiff [ LZ 127 ] ‘Graf Zeppelin’ überflog am 17. September 1929 Süchteln. Vom Heiligen Berg aus, nach der Dülkener Landstraße zu, begrüßten die Schülerinnen den so lang ersehnten Gast mit jubelnder Begeisterung.“

Das Luftschiff LZ 129 “Hindenburg” 1936 über Süchteln ( Foto: W. Ling )

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