Der Hauderer Johannes Stefes

Johannes Stefes, armer Leute Kind, war schon in jungen Jahren ein Hauderer
( Fuhrmann ) geworden. Sein Hund, sein Pferd und er bildeten einen trauten Bund miteinander und unzertrennlich gehörten sie zusammen. Auf jedes von ihnen konnte man sich verlassen. Seiner knarrenden Karre wurden oft wertvolle Dinge anvertraut. Er brachte sie preiswert, pünktlich und heil an ihren fernen Bestimmungsort.

Aber Johannes Stefes war nicht lediglich ein biederer Fuhrmann und zuverlässiger Spediteur. Auf seinen meist einsamen Fahrten zwischen Süchteln, Krefeld, Dülken und M’Gladbach war er nie müßig oder gedankenlos. Die Stille der damaligen Landstraßen, die weiten Felder ringsum, die dichten Wälder, die sie unterbrachen, machten ihn innerlich tief nachdenklich. Mit Leuten, die gleichen Weges gingen, redete er ernsthaft und zielbewusst. Wie er selbst keine Fahrt unnötig und zwecklos machte, so sollte auch die Reise seines Lebens ein festes Ziel haben. Unablässig spekulierte er über Leben und Sterben, über Kommen und Gehen der Menschen. Fahrenderweise verglich er ihren Lebenswandel mit dem Verkehr auf den Straßen, Pfaden und Wegen, die niemand eingehender kannte als er.

Nichts kam ihm kläglicher vor als sanglos, klanglos, namenlos unterzugehen und von heute auf morgen vergessen zu werden. An Sonn- und Feiertagen fand sein Nachdenken reiche Nahrung. Die Heiligen, deren bunte Bilder er in der Kirche sah und von denen er dort hörte, kamen ihm glücklich und beneidenswert vor. Sie hatten glücklich erreicht, wonach er noch mühsam strebte. Ihr Herr und Meister sprach von ewigen Dingen wie andere Menschen von alltäglichen Sachen. Alles hatte Hand und Fuß und ergänzte, was er selbst auf stiller Straße so oft gedacht und erlebt hatte.

So fuhr er eines Tages wieder über Land. Es war mitten im Mai. Am späten Abend erst befand er sich auf der Heimfahrt. Wieder bildeten Pferd, Hund und Fuhrmann eine unzertrennliche Einheit. Von Dülken kommend, verließ die schwerbeladene Karre nach beschwerlicher Fahrt bergan die breite Landstraße, bog in den schon dunklen Wald ein und näherte sich der weißen Irmgardis-Kapelle, die unter der uralten Linde wundersam leuchtete. Da wurde es Johannes Stefes beklommen ums Herz. Mit letzter Kraft kletterte er von seiner Karre und legte sich am Wege ins hohe Gras und Farn, um wieder zu sich zu kommen. Hund und Pferd hielten von selbst an und wichen nicht von der Stelle. Ein Herzschlag machte am 16. Mai 1729 seinem braven Leben ein jähes Ende. Im Laufe des folgenden Tages fand man seine Leiche. Pferd und Hund hielten treu die Totenwacht. Seine Peitsche lag neben ihm im Grase, seiner müden Hand entfallen. Aus seinem Nachlaß setzte man ihm an dem Weg zur Kapelle ein schlichtes steinernes Kreuz mit der Inschrift:

„ J. H. S. Anno 1729 den 16. Dag Maey Johannes Stefes G.T.D.S.”

So ist sein Sinnen und Trachten in Erfüllung gegangen. Er ist nicht namenlos in die Ewigkeit eingegangen, nicht spurlos aus dieser Welt geschieden. Johannes Stefes aus Süchteln hat schon Millionen Menschen in seinem Kreuz überdauert,
die längst vergessen sind.

Das steinerne Kreuz des Johannes Stefes bei der Irmgardis-Kapelle

Der letzte Süchtelner “Hauderer” August Netix um 1936

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